Die laufende Synode der EKD soll morgen oder übermorgen ein neues kirchliches Arbeitsrecht beschließen – arbeitgebergerecht, möglichst gewerkschaftsfern, lammfromm und rechtssicher. Den Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts soll es genügen – einseitig auf Kosten der Rechte von Mitarbeitern. Ziel der Kirchenjuristen: Die Rettung des „Dritten Weges“, auf dem Arbeitnehmerinteressen mit Hilfe der „Dienstgemeinschaft“-Ideologie unterbügelt werden. Weiterlesen
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Streiken im „Weinberg des Herrn“!
Am Donnerstag, 13. Januar 2010 verhandelt das Landesarbeitsgericht Hamm über das Streikrecht bei den Kirchen. Es gefiel der Diakonie in Westfalen nicht, dass die Gewerkschaft ver.di in 2009 zu Streiks aufgerufen hat. Sie möchte auf dem „Dritten Weg“ weiter wandeln: Keine Streiks, keine Aussperrung, einvernehmliche Lösungen. Das hat geklappt, solange die kirchlichen Arbeitgeber die Lohnabschlüsse aus dem Öffentlichen Dienst übernahmen. Die ÖTV hatte also für die kirchlichen Beschäftigten die Kastanien aus dem Feuer geholt. Weiterlesen
Profane Gründe, in einer Kirche zu sein. 1.: Der Umzug
Immer noch sind knapp zwei Drittel der Deutschen Mitglieder der katholischen oder evangelischen Kirchen. Die vielen Mitglieder werten die Kirchen gerne als Zustimmung zu fast allem, wofür sie stehen. Doch es gibt viele Gründe, in die Kirche einzutreten oder in ihr zu bleiben. Gründe, die nichts mit der raison d’etre, den eigentlich zu vermutenden Motiven zu tun haben. In loser Folge werde ich hier solche Motive vorstellen. Heute: Der Umzug in eine andere Stadt. Der Fall ist authentisch, der Name der Betroffenen ist aber zu ihrem eigenen Schutz verändert.
Die Hebamme Klara J. war nach ihrer Ausbildung an einem städtischen Krankenhaus in der norddeutschen Provinz gelandet – und wollte doch liebend gerne wieder zurück in die süddeutsche Stadt, in der sie sich so wohl gefühlt hatte. Aber wie nur? Sie schrieb Initiativbewerbungen an alle Krankenhäuser der Stadt mit einer Geburtsabteilung. Zu dumm nur: Mehr als die Hälfte dieser Kliniken ist in der Hand kirchlicher Träger – und Klara war schon mit 18 aus der evangelischen Kirche ausgetreten: „Ich wollte keinen Verein unterstützen, hinter dessen Zielen ich nicht stehe.“ Die eigene Existenz aber geht vor unbedingter Wahrhaftigkeit. Klara beschloss, parallell zu ihrem Bewerbungsverfahren wieder in die Kirche einzutreten. Das war gar nicht so einfach wie der Austritt. Eine Unterschrift reichte nicht. Der örtliche Pfarrer bestellte sie zu einem ausführlichen Gespräch zu sich – offiziell, um das neue Gemeindemitglied zu begrüßen. Aber Klara hatte den Eindruck, er wollte doch auch herausfinden, ob es sie vielleicht wegen eines Arbeitsplatzes in den Schoß der Kirche zurück zog. Klara J. mogelte ein bisschen und sagte, ihre Auffassung zur Kirchenmitgliedschaft habe sich seit dem Austritt geändert. Dann musste noch der Kirchenvorstand über ihr Eintrittsbegehren beschließen, und in einem Gottesdienst musste sie das Glaubensbekenntnis deklamieren, um endlich wieder vollwertiges Kirchenmitglied zu sein.
Noch vor dem Aufnahmegottesdienst wurde Klara J. zu einem Einstellungsgespräch bei einem evangelischen Krankenhaus in ihrer Wunschstadt gebeten. Das Gespräch verlief schlecht. Die Pflegeleiterin fragte Klara, ob sie Kirchenmitglied sei. „Nein, aber ich trete jetzt wieder ein“, antwortete die Bewerberin wahrheitsgemäß. Das kam gar nicht gut an bei ihrem Gegenüber. Kurz darauf kam die Absage.
Besser war das Bewerbungsgespräch bei einem katholischen Krankenhaus. Am Ende kam auch hier die K-Frage. Klara beantwortet sie mit „Ja“ – zu dem Zeitpunkt noch nicht ganz ehrlich. Sie bekam den Job. Endlich konnte sie wieder in der Stadt ihrer Wahl arbeiten. Kurz darauf wurde Lohnsteuerkarte korrigiert, auf „Kirchenmitgliedschaft – evg.“.
Von einer besonders christlichen Art, Müttern beim Kindergebären zu helfen, hat die Hebamme in den Jahren darauf nichts bemerkt. Aber eines geht ihr doch sehr aufs Gemüt: Dass sie und ihre neue Partnerin, die als Krankenschwester in der selben Klinik arbeitet, ihre Paarbeziehung vor dem Arbeitgeber verbergen müssen. Genauer: Es geht um Bigotterie; es darf nicht an die große Glocke gehangen werden. „Alle kennen das Gerücht, aber es wird nie darüber gesprochen, dass wir zusammen sind“, sagt Klara J. Eine eingetragene Partnerschaft als lesbisches Paar einzugehen, dieser Weg ist ihnen versperrt. Wenn die beiden von diesem Recht gebrauchen machen würden, gefährdeten sie ihre Arbeitsplätze. Ihr Fazit: „Hier im Krankenhaus darf man nicht man selbst sein.“
Zu dumm für die Klinik. Eine Identifikation der Arbeitnehmerin mit dem Arbeitgeber sieht anders aus.
Niemand will Gott bestreiken
„Gott kann man nicht bestreiken“, verkündete die Evangelische Kirche von Westfalen triumphierend am Tag nach dem Bielefelder Arbeitsgerichtsurteil zum Streikrecht in der Diakonie. Das erstinstanzliche Gericht hat den Diakoniebeschäftigten das Recht verweigert, mit Arbeitsniederlegungen Druck auf die Arbeitgeber für ihre Rechte auszuüben. Das verfassungsmäßige Recht der Kirchen, intern ihre Angelegenheiten „im Rahmen der geltenden Gesetze“ zu regeln, stellte das Gericht über das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, im Rahmen der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit sich zusammen zu schließen und für ihre Rechte gegenüber dem Arbeitgeber einzutreten.
Das Urteil steht in einer langen Tradition der deutschen Gerichte, die es erlaubt haben, dass die Kirchen zum Staat im Staate wurden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Beide Parteien – Kirche und Diakonie auf der einen Seite, die Gewerkschaft ver.di auf der anderen Seite – wollen den Weg durch die Instanzen beschreiten – bis zum Bundesarbeitsgericht und zum Bundesverfassungsgericht – um das Streikrecht für die Zukunft zu klären.
In seiner Urteilsbegründung soll das Bielefelder Gericht laut ver.di-Vorsitzendem Frank Bsirske auch gesagt haben, die Diakonie dürfe man auch deswegen nicht bestreiken, weil sie darauf verzichte, Arbeitnehmer auszusperren. Bsirske dazu: „Wenn das ein Argument ist, dann braucht ja nur jeder Arbeitgeber auf die Aussperrung verzichten, um einen Streik abzuwenden.“
Die evangelische Reaktion „Gott kann man nicht bestreiken“ sieht letztlich Gott als obersten Dienstherren einer Dienstgemeinschaft, in der Dienstgeber und Dienstnehmer gemeinsam am „Weinberg des Herren“ tätig sind zum Wohle der ihnen Anbefohlenen. Jeder Arbeitskampf richtet sich somit gegen DEN HERRN und gegen die Patienten.
Die Beschäftigten des Bielefelder diakonischen Krankenhauses, um deren Arbeitskämpfe des vergangenen Jahres es in dem Urteil geht, sehen das anders. Sie wollen Gott gar nicht bestreiken, sondern den Sparkommissar, den ihnen die Diakonie als Krankenhausvorstand vor die Nase gesetzt. Das Outsourcing, die Lohndrückerei und die Verschärfung der Arbeitsbedingungen in der Diakonie lassen die „Dienstgemeinschaft“ zu einer hohlen Phrase werden.
Noch in den 1920er Jahren galt bei kirchlichen Arbeitgebern weitestgehend das normale Arbeitsrecht – das ihren Arbeitnehmern nach dem zweiten Weltkrieg jedoch verweigert wurde. Den Begriff „Dienstgemeinschaft“ führten die Nationalsozialisten für ihren öffentlichen Dienst ein. In jeder Dienststelle gab es einen Führer und Gefolgsleute. Sie schafften das Streikrecht mit der Begründung ab, schließlich gehe es beiden Seiten um das Wohl der Volksgemeinschaft.
Aus der Volksgemeinschaft wurde nach dem Krieg in der Diktion der Kirchenjuristen der „Weinberg des Herrn“ – die Dienstgemeinschaft. Aus dem Führer wurden Gott und seine „Dienstgeber“, und der Streik blieb verboten. Das ging so lange gut, wie die Kirchenunternehmen die – oft nach Streik errungenen – Tarifverträge der Gewerkschaft ÖTV übernahmen und sich so die Kastanien von den Gottlosen aus dem Feuer holen ließen. Doch damit ist es seit etwa 2000 vorbei – und bei der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen gibt die Diakonie den kirchlichen Vorreiter.
Links:
Mitbestimmung in Wirtschaft, Kirche und Diakonie – Zeittafel von Jürgen Klute
Evg. Kirche v. Westfalen: Gott kann man nicht bestreiken
Hermann Lührs: Dienstgemeinschaft als Abgrenzungsprinzip (2006)