Was das Bild des Christenmenschen von der Natur und vom Menschen ist, das muss man sich leider mühsam zusammensuchen. Einen kleinen Mosaikstein dazu hat nun die Landtagsabgeordnete Sabine Kurtz beigetragen. Sie weiß ganz genau, warum Gott den geplanten Nationalpark im nördlichen Schwarzwald nicht möchte: Weiterlesen
Schlagwort-Archiv: christliches Menschenbild
Friedrich Tillmann – ein Euthanasie-Christ
Am 20. Mai 2010 stellt der Kölner Autor Klaus Schmidt die Biografie eines wahren Christen und Nazis vor, den sein christliches Menschenbild nicht daran hinderte, die Tötung von angeblich „lebensunwertem Leben“ zu organisieren.
Klaus Schmidt
„Ich habe aus Mitleid gehandelt“
Der Kölner Waisenhausdirektor und
„Euthanasie“-Beauftragte Friedrich Tillmann (1903-1964)
Metropol Verlag
Berlin 2010 (Mai)
ISBN 978-3-940938-71-8.
19,00 Euro
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Der christlich geprägte Nationalsozialist Friedrich Tillmann, der in Köln als Waisenhausdirektor jüdische Kinder schützte, wirkte 1940/41 in Berlin als Büroleiter bei der geheimen „Aktion T4“ mit. Der ersten zentral organisierten NS-Massenmordaktion fielen in Heil- und Pflegeanstalten mehr als 70 000 Kranke und Behinderte zum Opfer.
Nach 1945 arbeitete Friedrich Tillmann unbehelligt als Heimleiter in Opladen, Wolfsburg und Castrop-Rauxel. Die Enthüllung seiner Berliner Tätigkeit traf die Öffentlichkeit 1960 „wie ein Blitz aus heiterstem Himmel“ (Westfälische Rundschau). 1964 fand der wegen Beihilfe zum Krankenmord Angeklagte kurz vor Prozeßbeginn durch den Sturz aus einem Kölner Hochhaus den Tod. Klaus Schmidt präsentiert aufgrund von Archivmaterial und Kontakten mit Tillmanns Sohn ein Buch, das alle wesentlichen Aspekte von Tillmanns Leben im Kontext der Zeit berücksichtigt.
Klaus Schmidt, *1935, Theologe und Historiker, schrieb politische Sachbücher und Biografien, u.a. über den 1848er Armenarzt Andreas Gottschalk und den katholischen Arzt Franz Vonessen, der Mitarbeit bei NS-Zwangssterilisationen verweigerte (Greven Verlag Köln).
Presse-Vorstellung: Dienstag,18. Mai 11 Uhr im NS-Dokumentations-Zentrum
durch dessen Direktor Dr. Werner Jung.
Lesung/Vortrag: Donnerstag, 20 Mai, 20 Uhr im NS-Dokumentations-Zentrum
NS-Dokumentationszentrum
Appellhofplatz 23-25
50667 Köln
0221/221-26338
www.nsdok.de
nsdok /klammeraffe/ stadt-koeln.de
Hier ist das Inhaltsverzeichnis dieses Buches und die Einleitung dazu:
Inhalt
Einleitung………………………………………..……………………………………………2
I. Vom Jugendführer zum Waisenhausdirektor 4
Werdegang in (Köln-)Mülheim………………..………………………………………………….4
Völkische und Bündische Jugendarbeit………………………………………………………..5
Der Vormarsch der NSDAP und die „Machtergreifung“…………………………..………….8
Zwischen Kirche und Partei – Tillmanns Engagement für die Waisen………………………11
II. Vorstufen der „Euthanasie“
„Lebensunwertes Leben“…………………………………………………………………… 15
Propagandisten der „Eugenik“………………………………………………………………..17
Die Zwangssterilisation der „Ballastexistenzen“…………………………………………….18
III. Der geheime Auftrag 20
Büroleiter der „Aktion T4“……..……………………………………………………………. 20
Religiöse „Gnadentod“-Ideologen……………………………………………………………24
Der Wirkungskreis des Schreibtischtäters…………………………………………………….26
Das Schweigen der Reichsjuristen……………………………………………………………32
Proteste gegen die „Euthanasie“-Aktion..…………………………………………………….33
IV. Letzte Kriegsjahre 38
Schutz und Evakuierung der Kinder…………………………………………………………..38
Zuflucht im Kloster Steinfeld..…………………………………….…………………………40
Kriegdienst und Geheimauftäge………………………………………………………………43
V. Zwischen Entnazifizierung und Strafverfolgung 44
Entnazifizierung in Köln………………………………………………………………………44
Solidarische Sorge……………………………………………………………………………45
Entlastungszeugnisse…………………………………………………………………………46
Urteile in Ärzteprozessen………………………………….….………………………………49
Die Schatten der Vergangenheit………………………………………………………………52
Das zähe Ringen um die Entnazifizierung………… …………..……………………………57
VI. Eine neue Existenz 60
Zwischenstation Opladen…………………..…………………………………………………60
Wolfsburg………………………………………………………………………………………63
„Schlußstrich“-Profiteure……………………………………………………………………….64
Im Fadenkreuz der Ermittler…….……..…………….…………………………………………68
VII. Die Anklage 75
Die Verhaftung………………………………………………………………………………..75
Das Ringen um Haftverschonung….…………………………………………………………80
Die Mord-Anklage…………………………………………………………………………….83
Das Ende………………………………………………………………………………………86
Die Schonung der Täter und die Missachtung der Opfer……………………………………..88 Gedenken………………………………………………………………………………………..93
Literatur……………………………………………………………………………………..100
Personenregister……………………………………………………………………………..106
Ortsregister………………………………………………………………………………….107
Abkürzungen……………………………………………………………………………….109
Einleitung
Friedrich Tillmann, Handwerkersohn aus (Köln-)Mülheim, christlich motiviert und sozial engagiert, war bis zum Ende des „Dritten Reichs“ anfänglich begeistertes, später unbequemes Mitglied der NSDAP und Waisenhausdirektor in Köln. Bis in die Nazizeit hinein pflegte der von Bündischer Jugendarbeit Geprägte internationale Kontakte. Er bewahrte jüdische Waisenkinder und einen „Negermischling“ vor dem Zugriff des NS-Regimes und wehrte sich erfolgreich gegen die Entlassung der Nonnen und die Entfernung von Kruzifixen aus dem Waisenhaus in Köln-Sülz. In den 1950er Jahren wurde er Leiter eines Berglehrlingsheims in Castrop-Rauxel und Mitglied einer katholischen Pfarrgemeinde, deren Kirchbau er förderte.
Zugleich unterstützte dieser fürsorgliche Waisenhausdirektor 1940 und 1941 als nebenamtlicher Büroleiter einer Berliner „Euthanasie“-Zentrale NS-Ärzte, die Geisteskranken „den Gnadentod gewährten“. Eine geheime Staatsaktion. Mehr als 70 000 Patienten und Patientinnen psychiatrischer Anstalten fielen zwischen 1940 und 1941 der ersten zentral organisierten Massenvernichtungsaktion im Nationalsozialismus zum Opfer. Nach Protesten aus der Bevölkerung wurde die Aktion zwar offiziell im Sommer 1941 beendet, aber danach dezentral im Osten weitergeführt. In deutschen Anstalten und Kliniken mordete man ohne Gas insgeheim weiter. Nach Schätzungen wurden bis Kriegsende mehr als 200 000 Patientinnen und Patienten durch Gas, Medikamente, Nahrungsentzug oder Injektionen getötet.
Danach wurden in den Nürnberger Prozessen einzelne Haupttäter verurteilt, viele andere tauchten unter. Erst als 1959 ein Hauptverantwortlicher, der „Obergutachter“ Professor Dr. Werner Heyde alias Sawade entlarvt wurde, kamen erneut Prozesse in Gang.
Auch Friedrich Tillmanns Vergangenheit wurde nun aufgedeckt. Die Nachricht seiner Verhaftung im Juli 1960 schlug wie eine „Bombe“ ein, kam „wie ein Blitz aus heiterstem Himmel“.1 „Es ist ein und derselbe Friedrich Tillmann“, so die Westfälische Rundschau, „dieser anerkannt qualifizierte Fachmann auf dem Gebiet der Fürsorgearbeit, dieser Leiter der Gruppe ‚Heimerzieher’ in der Aktionsgemeinschaft Jugendschutz, dieses Mitglied des Kirchenvorstandes von St. Barbara.“2 Im Februar 1964, sechs Tage vor Prozesseröffnung, stürzte er aus dem achten Stock eines Kölner Bürohauses, einen Tag später nahm sich Werner Heyde im Gefängnis das Leben.
Wie konnte ein sozial engagierter und christlich geprägter Mensch wie Friedrich Tillmann diesen Weg gehen? Von der städtischen Fürsorge für Waisenkinder zur wenn auch nur kurzzeitigen Mithilfe bei NS-Krankentötungen – und wieder zurück in soziale Arbeit? Eine Analyse seiner Worte und Taten im Kontext der Zeit, in der er lebte, kann helfen, Antwort auf diese Frage zu finden.
Längst vor dem „Dritten Reich“ wurde über „lebenswertes“ und „lebensunwertes Leben“, über Sterbehilfe und „Gnadentod“ heiß diskutiert. Auch nach 1945 sprachen sich viele Menschen noch für „Euthanasie“ aus. Zehn Jahre nach Tillmanns und Heydes Tod führte das Allensbacher Institut eine repräsentative Umfrage durch. Die Frage lautete: „Es gibt ja immer wieder Menschen mit schweren geistigen Schäden, die praktisch dazu verurteilt sind, das ganze Leben hinzudämmern. Deshalb hört man ja manchmal, es wäre das Beste, solchen Kranken ein Medikament zu geben, damit sie nicht mehr aufwachen. Wären Sie dafür oder dagegen, daß Ärzte in einem solchen Fall das Leben der Kranken beenden können?“3 38 Prozent der Befragten waren dafür. Bis in die Gegenwart führen ähnliche Umfragen sogar zu noch höheren Prozentzahlen.4
Grenzen werden respektiert oder missbraucht. Die Frage nach der Grenze des Erlaubten ist uralt und bleibt hochaktuell. Eine Krankenschwester setzt einem ahnungslosen alten Patienten eine tödliche Spritze. Die Öffentlichkeit reagiert entsetzt, denkt an Euthanasie.
Vorschnelle Vergleiche sind unangebracht, doch Erinnerungsarbeit kann die Bereitschaft und die Fähigkeit verbessern, in Grenzsituationen verantwortungsvoller zu handeln.
Im Brennpunkt solchen Gedenkens gebührt den Opfern die größte Aufmerksamkeit, danach auch den Tätern. Die Zwangssterilisierten und nachfolgend die getöteten angeblich oder wirklich unheilbar Geisteskranken gehören neben homosexuell lebenden Menschen, Kommunisten und Sinti und Roma zu einer fast vergessenen Opfergruppe aus der NS-Zeit. Doch auch die für die meisten Zeitgenossen unangenehme Erinnerung an die Täter ist unverzichtbar. Sie fielen in einer vom mörderischen Wahn gezeichneten Zeit aus ihrem „normalen“ Leben heraus und fielen zugleich ihrer Begeisterung über die Erfolge des „Führers“ und seiner Gefolgsleute anheim, die Widerstandskraft gegen die Unmenschlichkeit des totalitären Systems kaum aufkommen ließ. Mediales Interesse konzentriert sich nach wie vor auf Hauptkriegsverbrecher – allen voran den „Führer“. Die für die „Euthanasie“ von Geisteskranken im eigenen Land Verantwortlichen und die einst gegen sie angestrengten Prozesse sind fast nur noch Fachleuten bekannt5 – und von den Opfern spricht fast niemand mehr. Nicht zuletzt ihnen soll mit diesem Buch die Aufmerksamkeit gewidmet werden, die ihnen außerhalb ihrer Familien und mancher Gedenkstätten zumeist versagt wird. Auch in diesem Zusammenhang gilt: Jede neue Biographie, jeder authentische Bericht aus der NS-Zeit kann Menschen erreichen und schon deswegen „ein Gewinn für die politische Kultur der Gegenwart und das politische Bewußtsein kommender Generationen“ sein.
Nichts wäre ungerechter, als Friedrich Tillmanns Biographie auf die Zeit seiner Tätigkeit in der Berliner „Euthanasie“-Zentrale zu reduzieren. Dies ist in den bisherigen, meist kurzen Erwähnungen seines Lebens fast ausnahmslos der Fall. Nur eine möglichst genaue Erfassung seiner gesamten Existenz kann seine verhängnisvolle Grenzüberschreitung begreiflich machen. Unverzichtbar waren für mich dabei Recherchen im Hessischen Hauptstaatsarchiv, im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und im bis 2008 noch unzerstörten Kölner Stadtarchiv.
Friedrich Tillmanns Sohn Ekkehart hat mit einer Vielzahl von Unterlagen und familiären Erinnerungen das Zustandekommen dieser Biographie wesentlich unterstützt. Zwei Freunden habe ich besonders zu danken: Dr. Damian van Melis für hilfreiche Informationen und Anregungen, Dr. Peter Klein für sorgfältige Lektüre des Textes.
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