„Gott kann man nicht bestreiken“, verkündete die Evangelische Kirche von Westfalen triumphierend am Tag nach dem Bielefelder Arbeitsgerichtsurteil zum Streikrecht in der Diakonie. Das erstinstanzliche Gericht hat den Diakoniebeschäftigten das Recht verweigert, mit Arbeitsniederlegungen Druck auf die Arbeitgeber für ihre Rechte auszuüben. Das verfassungsmäßige Recht der Kirchen, intern ihre Angelegenheiten „im Rahmen der geltenden Gesetze“ zu regeln, stellte das Gericht über das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, im Rahmen der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit sich zusammen zu schließen und für ihre Rechte gegenüber dem Arbeitgeber einzutreten.
Das Urteil steht in einer langen Tradition der deutschen Gerichte, die es erlaubt haben, dass die Kirchen zum Staat im Staate wurden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Beide Parteien – Kirche und Diakonie auf der einen Seite, die Gewerkschaft ver.di auf der anderen Seite – wollen den Weg durch die Instanzen beschreiten – bis zum Bundesarbeitsgericht und zum Bundesverfassungsgericht – um das Streikrecht für die Zukunft zu klären.
In seiner Urteilsbegründung soll das Bielefelder Gericht laut ver.di-Vorsitzendem Frank Bsirske auch gesagt haben, die Diakonie dürfe man auch deswegen nicht bestreiken, weil sie darauf verzichte, Arbeitnehmer auszusperren. Bsirske dazu: „Wenn das ein Argument ist, dann braucht ja nur jeder Arbeitgeber auf die Aussperrung verzichten, um einen Streik abzuwenden.“
Die evangelische Reaktion „Gott kann man nicht bestreiken“ sieht letztlich Gott als obersten Dienstherren einer Dienstgemeinschaft, in der Dienstgeber und Dienstnehmer gemeinsam am „Weinberg des Herren“ tätig sind zum Wohle der ihnen Anbefohlenen. Jeder Arbeitskampf richtet sich somit gegen DEN HERRN und gegen die Patienten.
Die Beschäftigten des Bielefelder diakonischen Krankenhauses, um deren Arbeitskämpfe des vergangenen Jahres es in dem Urteil geht, sehen das anders. Sie wollen Gott gar nicht bestreiken, sondern den Sparkommissar, den ihnen die Diakonie als Krankenhausvorstand vor die Nase gesetzt. Das Outsourcing, die Lohndrückerei und die Verschärfung der Arbeitsbedingungen in der Diakonie lassen die „Dienstgemeinschaft“ zu einer hohlen Phrase werden.
Noch in den 1920er Jahren galt bei kirchlichen Arbeitgebern weitestgehend das normale Arbeitsrecht – das ihren Arbeitnehmern nach dem zweiten Weltkrieg jedoch verweigert wurde. Den Begriff „Dienstgemeinschaft“ führten die Nationalsozialisten für ihren öffentlichen Dienst ein. In jeder Dienststelle gab es einen Führer und Gefolgsleute. Sie schafften das Streikrecht mit der Begründung ab, schließlich gehe es beiden Seiten um das Wohl der Volksgemeinschaft.
Aus der Volksgemeinschaft wurde nach dem Krieg in der Diktion der Kirchenjuristen der „Weinberg des Herrn“ – die Dienstgemeinschaft. Aus dem Führer wurden Gott und seine „Dienstgeber“, und der Streik blieb verboten. Das ging so lange gut, wie die Kirchenunternehmen die – oft nach Streik errungenen – Tarifverträge der Gewerkschaft ÖTV übernahmen und sich so die Kastanien von den Gottlosen aus dem Feuer holen ließen. Doch damit ist es seit etwa 2000 vorbei – und bei der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen gibt die Diakonie den kirchlichen Vorreiter.
Links:
Mitbestimmung in Wirtschaft, Kirche und Diakonie – Zeittafel von Jürgen Klute
Evg. Kirche v. Westfalen: Gott kann man nicht bestreiken
Hermann Lührs: Dienstgemeinschaft als Abgrenzungsprinzip (2006)