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Wann der Klerus lügt

Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, mit Krummstab in modernem Design

Erzbischof Reinhard Marx wird hier nicht der Lüge bezichtigt, aber er trägt auch einen Hirtenstab zum Zeichen, dass er die Laufrichtung für seine Schafherde kennt und sie "gegen die Verfälscher, gegen die Führungen, die Verführungen" schützen kann. Foto: Dieter Schmitt

Wenn es um die Verteidigung der Institution Kirche und des Papstes geht, ist sich der katholische Klerus offensichtlich manchmal keine Lüge zu schade. Besonderes, wenn es gegen Kirchenkritiker geht, nehmen sie es anscheinend mit dem achten Gebot nicht mehr so genau und geben gerne mal „falsches Zeugnis“. So zum Beispiel Bernhard Speringer, Priester des „Orden der Regularkanoniker vom Heiligen Kreuz“ aus der Nähe von Innsbruck. In einem auch auf www.kath.net wiedergegebenen Leitartikel für das Schweizerisch Katholische Sonntagsblatt legt er Ulli Schauen, dem Autor des Kirchenhasser-Brevier Worte in den Mund, die dieser nie gesagt hat – um anschließend auf den „Pseudojournalisten“ einzuprügeln. (Natürlich ist das mit dem Prügeln hier nur metaphorisch gemeint ;-).

Es geht um die Predigt von Papst Benedikt XYI zum Ende des Priesterjahres am 11. Juni 2010.In seiner Ansprache bittet der Papst lobenswerter weise um Vergebung für den Missbrauch in der Kirche. Andererseits macht er bezeichnenderweise nicht seine Kirche sondern letztlich den „bösen Feind“ – also den Satan – dafür verantwortlich, dass die Skandale ausgerechnet im Priesterjahr ans Tageslicht kamen. Indirekt sind also die Überbringer der schlechten Nachrichten dem „Reich des Bösen“ zuzurechnen. Joseph Ratzinger bekräftigt außerdem in seiner Ansprache die Hirtenrolle der Bischöfe und Priester und fordert sie ausdrücklich auf: „Auch die Kirche muss den Stock des Hirten gebrauchen, mit dem sie den Glauben schützt gegen die Verfälscher, gegen die Führungen, die Verführungen sind. Gerade der Gebrauch des Stockes kann ein Dienst der Liebe sein.“

Ich habe in der ZDF-Talksendung „Markus Lanz“ am 26. August 2010 anhand dieser Stockmetapher darauf hin gewiesen, dass die religiöse Überhöhung der Rolle der „Hirten“ in der katholischen Kirche problematisch ist und Missbrauch begünstigt. Wer andere als blökende Schafsköpfe, sich selbst hingegen in der besserwissenden Hirtenrolle und als Vertreter von Gottes Weisheit sieht, der bringt seine Schäfchen leichter in Abhängigkeit – das System begünstigt auf diese Weise Missbrauch. Die doppelte Abhängigkeit kann in Institutionen wie Heimen und Internaten schlimme Folgen haben.

Auf so eine Aussage lässt sich wohl schlechter einschlagen als auf das, was der Kreuzordenspater Speringer daraus macht: Ulli Schauen, schreibt er, habe in der Rede des Papstes „die Aufforderung des Papstes an die Priester“ gesehen, „die Prügelstrafe zu gebrauchen“. Mitnichten. Dann flicht Speringer noch eine Zwischenfrage seines geistigen Bruders, des Salzburger Weihbischofs Andreas Laun ein, die dieser gar nicht gestellt hat sowie eine Antwort, die ich darauf nicht gegeben habe. Dies deutet darauf hin, dass Laun ihm von der Diskussion aus dem Gedächtnis falsch berichtet hat – nehmen wir das zu Gunsten der beiden geistlichen Herren einmal an. Dummerweise nur für Speringer lässt sich im Internetzeitalter ein solcher Leitartikel leicht als fälscherische Unwahrheit entlarven. Niemand braucht das Gegenteil einfach nur behaupten. Es steht alles online: Speringers Artikel, ein Videoausschnitt der Sendung mit dem betreffenden Dialog sowie auch die Predigt des Papstes zum Abschluss des Priesterjahres am 11. Juni auf dem Petersplatz in Rom. Deshalb hier die betreffenden Zitate und die dazu gehörenden Links.



Bernhard Speringer, ORC laut Kath.net im Schweizerisch Katholischen Sonntagsblatt am 1. 9.2010:

„Wie aber interpretiert der „Kirchenhasser“ Schauen – er bezeichnet sich auf seiner Website selbst so – diese Worte (des Papstes)? Er sieht darin eine „Aufforderung des Papstes an die Priester, die Prügelstrafe zu gebrauchen.“ Auf die Frage von Bischof Laun, der ebenfalls an der Diskussion teilnahm, ob er das wirklich ernst meine, sagte Schauen, dass der Papst das natürlich nicht explizit gesagt hat, aber jeder wüsste ja, was damit gemeint ist…

ZDF-Sendung „Markus Lanz“ vom 26. August 2010:

Lanz: „Herr Schauen, Sie sagen, der Papst hat sich, wenn es jetzt um die Missbrauchsfälle der letzten Zeit geht, nicht entschuldigt, er hat um Vergebung gebeten. Ich meine, das so verstanden zu haben, dass das auch die Opferseite ausdrücklich wünscht, dass man um Vergebung bittet, weil das Dinge sind, für die man sich nicht entschuldigen kann. Weil sie unentschuldbar sind. Sie sagen, der Papst hat sich nicht entschuldigt.“

Schauen: „Nein, das werfe ich ihm nicht vor. Ich finde das gut, dass er um Vergebung gebeten hat, aber man muss diese Rede, die er gemacht hat, am 10. oder 11. Juni, mal ganz lesen, und das ist sehr interessant. Sie ist an Priester gerichtet, zum Ende des Priesterjahres. Die ist an Priester gerichtet und ihre Rolle. Und die werden ja immer Hirten genannt. Hirten – und das andere, das sind dann die Schafe, die nicht so immer Bescheid wissen. Die müssen von den Hirten geleitet werden, irgendwo hin, und die Hirten wissen Bescheid. Und dafür haben Sie dann einen Stab und einen Stock. Und in der gleichen Rede hat der Papst die Hirten aufgefordert, auch mal den Stock zu gebrauchen. Und das ist das Dilemma. Erst mal: Stock gebrauchen ist Missbrauch, auch wenn das jetzt im übertragenen Sinne gemeint ist, mal kurz an die Hinterbacken des Schafes, ja, aber es geht eben in Richtung Gewalt, und es zeigt dieses Höhergestellte der Priester, was eben in Abhängigkeit bringt, gerade in Institutionen wie Internaten, wo dann das Ganze irgendwo…

Lanz: „Sie unterstellen dem Papst tatsächlich die Aufforderung zur Prügelstrafe?“

Schauen: „Ich sage, das System wird der Papst auch …“

Lanz: „In einem metaphorischen Sinne, aber das macht es ja nicht besser.“

Schauen: „Ich sage, das kann dazu führen, ich sage, das begünstigt auch Gewalt. Und es begünstigt, und das sieht man ja auch an den ganzen Missbrauchsfällen, Gewalt, wenn da eine Überhöhung der Rolle eines Lehrers noch mal stattfindet, indem der auch noch Nonne – Lehrerin in dem Falle – oder Ordensbruder ist, und dann auch noch theologisch begründen kann, warum die Kinder jetzt da malträtiert werden müssen, und so war das 1950 bis 1990 …

(hier unterbricht Markus Lanz und leitet zu Bischof Laun über – Schauen kommt im Rest der Sendung nicht mehr zu Wort).

Papst Benedikt XVI: Aus der Predigt zum Ende des Priesterjahres am 11. Juni 2010 auf dem Petersplatz in Rom.

„Der Hirte braucht den Stock gegen die wilden Tiere, die in die Herde einbrechen möchten; gegen die Räuber, die sich ihre Beute suchen. Neben dem Stock steht der Stab, der Halt schenkt und schwierige Passagen zu durchschreiten hilft. Beides gehört auch zum Dienst der Kirche, zum Dienst des Priesters. Auch die Kirche muss den Stock des Hirten gebrauchen, mit dem sie den Glauben schützt gegen die Verfälscher, gegen die Führungen, die Verführungen sind. Gerade der Gebrauch des Stockes kann ein Dienst der Liebe sein. Heute sehen wir es, dass es keine Liebe ist, wenn ein für das priesterliche Leben unwürdiges Verhalten geduldet wird. So ist es auch nicht Liebe, wenn man die Irrlehre, die Entstellung und Auflösung des Glaubens wuchern lässt, als ob wir den Glauben selbst erfänden. Als ob er nicht mehr Gottes Geschenk, die kostbare Perle wäre, die wir uns nicht nehmen lassen. Zugleich freilich muss der Stock immer wieder Stab des Hirten werden, der den Menschen hilft, auf schwierigen Wegen gehen zu können und dem Herrn nachzufolgen.“

… (an früherer Stelle:)

„Es war zu erwarten, daß dem bösen Feind dieses neue Leuchten des Priestertums nicht gefallen würde, das er lieber aussterben sehen möchte, damit letztlich Gott aus der Welt hinausgedrängt wird. So ist es geschehen, daß gerade in diesem Jahr der Freude über das Sakrament des Priestertums die Sünden von Priestern bekannt wurden – vor allem der Mißbrauch der Kleinen, in dem das Priestertum als Auftrag der Sorge Gottes um den Menschen in sein Gegenteil verkehrt wird. Auch wir bitten Gott und die betroffenen Menschen inständig um Vergebung und versprechen zugleich, daß wir alles tun wollen, um solchen Mißbrauch nicht wieder vorkommen zu lassen.“