Kategorie-Archiv: Veranstaltungen

Kirchentage sind keine Laienveranstaltungen

Köln 1965 XII. Deutscher Evangelischer Kirchentag Abschlußkundgebung am 1.8.1965 Im Bild von links nach rechts: Bischof Dr. Hanns Lilje, Reinold von Thadden-Trieglaff, Ehrenpräsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Bischof Dr. Otto Dibelius, Dr. W. A. Vissert Hooft, Generalsekretär des Weltrats der Kirchen, Dr. Richard Freiherr von Weizsäcker, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages und Bundeskanzler Prof. Dr. Ludwig Erhard

Auch beim evg. Kirchentag 1965 in Köln saß die Politik in der ersten Reihe, Foto: Bundesarchiv

Kirchentage als Laientreffen zu bezeichnen, das ist bloße Kirchen-PR, mehr nicht. Abseits von dem oberflächlichen Augenschein der bunten Massenveranstaltungen ist das ein sehr idyllischer, schiefer, falscher Begriff. Immer schon war die Organisation von Kirchentag und Katholikentagen nah an der Spitze des Staates und der Kirchen. Den Ton geben studierte Theologen an, hauptamtliche Kirchenfunktionäre, Politiker und Ex-Politiker, sowie Beamte – vor allem ProfessorInnen. Einfache Laien haben nur dann eine geringe Chance in die Leitungsgremien der Kirchentage zu kommen, wenn sie langjährig als Multifunktionäre in der Kirche wirken.

Kennzeichen beispielsweise der Leitung des Münchener Ökumenischen Kirchentages 2010 ist dessen enorme Staatsnähe: Beamte und PensionärInnen allerorten. Erleichtert wird das Ganze durch großzügig gehandhabte Freistellungsregelungen in den Beamtengesetze des Bundes und der Länder (siehe Kirchenhasser-Brevier von Ulli Schauen, S. ) Wer Beamter, Beamtin oder SoldatIn ist, ist grundsätzlich frei für ehrenamtliche Tätigkeit bei Kirchen.

Eine Zählung bei Vorstand (incl. Präsidenten) und Präsidium des Ökumenischen Kirchentages 2010 ergibt:

Bei den Protestanten im Vorstand sind zwei ProfessorInnen, zwei hauptamtliche Kirchenbeschäftigte und zwei PolitikerInnen (von denen eine ebenfalls Kirchenbeschäftigte ist)
Bei den Katholiken sind im ÖKT-Vorstand drei PolitikerInnen und drei Kirchenhauptamtliche im Vorstand

Im Präsidium sieht es ähnlich aus:
Für die Protestanten sind im ÖKT-Präsidium
– drei hohe Beamte drin, davon zwei Hochschulprofessoren
– drei PfarrerInnen
– vier (Ex-) Politiker
bei den restlichen vier evangelischen Mitgliedern ist das Übergewicht der Medienvertreter interessant, was auf die Existenz des kirchlich-medialen Komplexes verweist, die im Kirchenhasser-Brevier auf Seite bis beschrieben ist: zwei öffentlich-rechtliche JournalistInnen und eine Publizistin sind dabei.

Auf katholischer Seite sitzen im Präsidium
– Sieben Vertreter des Klerus und andere Hauptamtliche in der Kirche und ihren Organisationen
– vier (Ex-) PolitikerInnen, von denen drei gleichzeitig hohen Beamtenstatus haben
– und gerade mal zwei sonstige Ehrenamtliche, beides RechtsanwältInnen

Hier ist die Liste:
Gemeinsames Präsidium des Ökumenischen Kirchentages München

1. Durch den Deutschen Evangelischen Kirchentag benannte Mitglieder:

Präsident:

Professor Dr. Dr. Eckhard Nagel, Bayreuth/Augsburg,
Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, Uni Bayreuth

Vorstand:
Hauptamtliche
.. und Politikerin:
Generalsekretärin Dr. Ellen Ueberschär, Fulda (Theologin, Grüne Politikerin)
Landesbischof Dr. Johannes Friedrich, München

Politikerinnen

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt MdB, Berlin (Theologin ohne Abschluss, Grüne Politikerin)
Kultursenatorin Prof. Dr. Karin von Welck, Hamburg

Professor
Dr. Gerhard Robbers, Trier – (Professor, u.a. Kirchenrecht) Forschungsfreisemester

Präsidiumsmitglieder:
Beamte:

Professor Dr. Michael Heinig, – Kirchenrechtler an der Uni Göttingen
Dr. Simone Schwanitz, Mainz (KMK Bonn, Regierunsdirektorin im Wissenschaftsministerium Mainz)
Dr. Günter Ruddat, Bochum (Theologie evg. FH)

Hauptamtliche:

Pastorin Anne Gidion, Hamburg
Pfarrerin Andrea Wagner-Pinggéra, München
Pfarrer Dr. Andreas Löw, Korntal-Münchingen

Politiker:

Direktor i.R. Volker Hufschmidt, Willich (SPD-Politiker)
Ministerpräsident a.D. Dr. Reinhard Höppner, Magdeburg – CDU-Politiker
Staatssekretär a.D. Wolf-Michael Catenhusen, Berlin, SPD
Politiker Steffen Reiche MdB, Berlin, SPD

Ehrenamtliche:

Buchautorin Dr. Beatrice von Weizsäcker, München
Pensionärin Heidi Schülke, Coburg (kirchliche Multifunktionärin)
Davon zwei aus dem Öffentlich-rechtlichen Radio:
Journalistin Öffentlich-rechtlich Ulrike Greim-Haspel, Weimar (Thüringen-Korrespondentin des Deutschlandradio Kultur)
Journalist Öffentlich-rechtlich Dr. Johannes Weiß, Baden-Baden (Programmchef des Kulturradios SWR 2)

2. Durch das ZdK benannte Mitglieder:
2.1 Präsident:
(Ex-) Politiker Alois Glück, Hörzing, Traunwalchen

2.2 Vorstand:
Hauptamtliche.
Erzbischof von München und Freising Reinhard Marx, München
Generalsekretär des ZdK Dr. Stefan Vesper, Bonn
Vizepräsidentin Dr. Claudia Lücking-Michel, Bonn – ZdK, Generalsekretärin des Cusanuswerks (katholische Studienförderung)

Politiker
Dr. Christoph Braß, Berlin – Ministerialrat im Bundesbildungsministerium
Professor Dr. Alois Baumgartner, München – emeritierter Theologieprofessor

Präsidiumsmitglieder:
Hauptamtliche Kirchenbeschäftigte, Klerus:
Elisabeth Bußmann, Haltern – Leiterin einer Bildungsstätte der Katholischen Arbeitnehmerbewegung in Haltern
Alois Wolf, Erfurt – Stellvertretender Diözesancaritasdirektor im Bistum Erfurt
Bischof Dr. Gebhard Fürst, Rottenburg
Bischof Dr. Gerhard Müller, Regensburg
Dirk Tänzler, Düsseldorf BKDJ-Bundesvorsitzender
Dr. Armin Wouters, München – Angestellter des Erzbistums München und Freising
Generalvikar Dr. Robert Simon, München

Politiker:
Bayerischer Staatsminister der Finanzen Georg Fahrenschon, München
Politiker und Beamter Dr. Albert Maximilian Schmid, Nürnberg (SPD) – Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Karin Kortmann, Düsseldorf – Bis 2009 SPD Bundestagsabgeordnete und Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, BMZ
Professorin Dr. Dorothea Sattler, Münster Theologin, Ökumenisches Institut – das Institut verzeichnet für das Sommersemester 2010 keine Lehrveranstaltungen von Frau Sattler

Ehrenamtliche:
Susanne Bühl, Würzburg (Rechtsanwältin?)
Hans-Georg Hunstig, Paderborn (Rechtsanwalt und Notar)

Benannt durch die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK):
Hauptamtlicher Erzpriester Radu Constantinos Miron, Brühl (Griechisch-Orthodox)
Hauptamtliche Pfarrerin Barbara Rudolph, Frankfurt am Main (Geschäftsführerin der ACK)
Ehrenamtlich Irmgard Stanullo, Nürnberg – ernährt sich als Referentin in Kirchlicher Bildungsarbeit (Baptistin)

(Das Gremium besteht aus insgesamt 43 Mitgliedern: den Mitgliedern des Gemeinsamen Vorstandes, je zwei Vertretern der gastgebenden Kirchen, je zwölf von DEKT und ZdK ernannten Mitgliedern sowie drei Vertreter aus anderen Kirchen, die in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) organisiert sind.)
Quelle für die Namen

Friedrich Tillmann – ein Euthanasie-Christ

Buchcover: Ich habe aus Mitleid gehandelt" über Friedrich Tillmann, von Klaus SchmidtAm 20. Mai 2010 stellt der Kölner Autor Klaus Schmidt die Biografie eines wahren Christen und Nazis vor, den sein christliches Menschenbild nicht daran hinderte, die Tötung von angeblich „lebensunwertem Leben“ zu organisieren.

Klaus Schmidt

„Ich habe aus Mitleid gehandelt“

Der Kölner Waisenhausdirektor und
„Euthanasie“-Beauftragte Friedrich Tillmann (1903-1964)

Metropol Verlag
Berlin 2010 (Mai)
ISBN 978-3-940938-71-8.
19,00 Euro
Das Buch bei Amazon bestellen
Der christlich geprägte Nationalsozialist Friedrich Tillmann, der in Köln als Waisenhausdirektor jüdische Kinder schützte, wirkte 1940/41 in Berlin als Büroleiter bei der geheimen „Aktion T4“ mit. Der ersten zentral organisierten NS-Massenmordaktion fielen in Heil- und Pflegeanstalten mehr als 70 000 Kranke und Behinderte zum Opfer.

Nach 1945 arbeitete Friedrich Tillmann unbehelligt als Heimleiter in Opladen, Wolfsburg und Castrop-Rauxel. Die Enthüllung seiner Berliner Tätigkeit traf die Öffentlichkeit 1960 „wie ein Blitz aus heiterstem Himmel“ (Westfälische Rundschau). 1964 fand der wegen Beihilfe zum Krankenmord Angeklagte kurz vor Prozeßbeginn durch den Sturz aus einem Kölner Hochhaus den Tod. Klaus Schmidt präsentiert aufgrund von Archivmaterial und Kontakten mit Tillmanns Sohn ein Buch, das alle wesentlichen Aspekte von Tillmanns Leben im Kontext der Zeit berücksichtigt.

Klaus Schmidt, *1935, Theologe und Historiker, schrieb politische Sachbücher und Biografien, u.a. über den 1848er Armenarzt Andreas Gottschalk und den katholischen Arzt Franz Vonessen, der Mitarbeit bei NS-Zwangssterilisationen verweigerte (Greven Verlag Köln).

Presse-Vorstellung: Dienstag,18. Mai 11 Uhr im NS-Dokumentations-Zentrum
durch dessen Direktor Dr. Werner Jung.

Lesung/Vortrag: Donnerstag, 20 Mai, 20 Uhr im NS-Dokumentations-Zentrum

NS-Dokumentationszentrum
Appellhofplatz 23-25
50667 Köln
0221/221-26338
www.nsdok.de
nsdok /klammeraffe/ stadt-koeln.de

Hier ist das Inhaltsverzeichnis dieses Buches und die Einleitung dazu:

Inhalt

Einleitung………………………………………..……………………………………………2

I. Vom Jugendführer zum Waisenhausdirektor 4
Werdegang in (Köln-)Mülheim………………..………………………………………………….4
Völkische und Bündische Jugendarbeit………………………………………………………..5
Der Vormarsch der NSDAP und die „Machtergreifung“…………………………..………….8
Zwischen Kirche und Partei – Tillmanns Engagement für die Waisen………………………11

II. Vorstufen der „Euthanasie“
„Lebensunwertes Leben“…………………………………………………………………… 15
Propagandisten der „Eugenik“………………………………………………………………..17
Die Zwangssterilisation der „Ballastexistenzen“…………………………………………….18

III. Der geheime Auftrag 20
Büroleiter der „Aktion T4“……..……………………………………………………………. 20
Religiöse „Gnadentod“-Ideologen……………………………………………………………24
Der Wirkungskreis des Schreibtischtäters…………………………………………………….26
Das Schweigen der Reichsjuristen……………………………………………………………32
Proteste gegen die „Euthanasie“-Aktion..…………………………………………………….33

IV. Letzte Kriegsjahre 38
Schutz und Evakuierung der Kinder…………………………………………………………..38
Zuflucht im Kloster Steinfeld..…………………………………….…………………………40
Kriegdienst und Geheimauftäge………………………………………………………………43

V. Zwischen Entnazifizierung und Strafverfolgung 44
Entnazifizierung in Köln………………………………………………………………………44
Solidarische Sorge……………………………………………………………………………45
Entlastungszeugnisse…………………………………………………………………………46
Urteile in Ärzteprozessen………………………………….….………………………………49
Die Schatten der Vergangenheit………………………………………………………………52
Das zähe Ringen um die Entnazifizierung………… …………..……………………………57

VI. Eine neue Existenz 60
Zwischenstation Opladen…………………..…………………………………………………60
Wolfsburg………………………………………………………………………………………63
„Schlußstrich“-Profiteure……………………………………………………………………….64
Im Fadenkreuz der Ermittler…….……..…………….…………………………………………68

VII. Die Anklage 75
Die Verhaftung………………………………………………………………………………..75
Das Ringen um Haftverschonung….…………………………………………………………80
Die Mord-Anklage…………………………………………………………………………….83
Das Ende………………………………………………………………………………………86

Die Schonung der Täter und die Missachtung der Opfer……………………………………..88 Gedenken………………………………………………………………………………………..93

Literatur……………………………………………………………………………………..100
Personenregister……………………………………………………………………………..106
Ortsregister………………………………………………………………………………….107
Abkürzungen……………………………………………………………………………….109

Einleitung

Friedrich Tillmann, Handwerkersohn aus (Köln-)Mülheim, christlich motiviert und sozial engagiert, war bis zum Ende des „Dritten Reichs“ anfänglich begeistertes, später unbequemes Mitglied der NSDAP und Waisenhausdirektor in Köln. Bis in die Nazizeit hinein pflegte der von Bündischer Jugendarbeit Geprägte internationale Kontakte. Er bewahrte jüdische Waisenkinder und einen „Negermischling“ vor dem Zugriff des NS-Regimes und wehrte sich erfolgreich gegen die Entlassung der Nonnen und die Entfernung von Kruzifixen aus dem Waisenhaus in Köln-Sülz. In den 1950er Jahren wurde er Leiter eines Berglehrlingsheims in Castrop-Rauxel und Mitglied einer katholischen Pfarrgemeinde, deren Kirchbau er förderte.
Zugleich unterstützte dieser fürsorgliche Waisenhausdirektor 1940 und 1941 als nebenamtlicher Büroleiter einer Berliner „Euthanasie“-Zentrale NS-Ärzte, die Geisteskranken „den Gnadentod gewährten“. Eine geheime Staatsaktion. Mehr als 70 000 Patienten und Patientinnen psychiatrischer Anstalten fielen zwischen 1940 und 1941 der ersten zentral organisierten Massenvernichtungsaktion im Nationalsozialismus zum Opfer. Nach Protesten aus der Bevölkerung wurde die Aktion zwar offiziell im Sommer 1941 beendet, aber danach dezentral im Osten weitergeführt. In deutschen Anstalten und Kliniken mordete man ohne Gas insgeheim weiter. Nach Schätzungen wurden bis Kriegsende mehr als 200 000 Patientinnen und Patienten durch Gas, Medikamente, Nahrungsentzug oder Injektionen getötet.
Danach wurden in den Nürnberger Prozessen einzelne Haupttäter verurteilt, viele andere tauchten unter. Erst als 1959 ein Hauptverantwortlicher, der „Obergutachter“ Professor Dr. Werner Heyde alias Sawade entlarvt wurde, kamen erneut Prozesse in Gang.
Auch Friedrich Tillmanns Vergangenheit wurde nun aufgedeckt. Die Nachricht seiner Verhaftung im Juli 1960 schlug wie eine „Bombe“ ein, kam „wie ein Blitz aus heiterstem Himmel“.1 „Es ist ein und derselbe Friedrich Tillmann“, so die Westfälische Rundschau, „dieser anerkannt qualifizierte Fachmann auf dem Gebiet der Fürsorgearbeit, dieser Leiter der Gruppe ‚Heimerzieher’ in der Aktionsgemeinschaft Jugendschutz, dieses Mitglied des Kirchenvorstandes von St. Barbara.“2 Im Februar 1964, sechs Tage vor Prozesseröffnung, stürzte er aus dem achten Stock eines Kölner Bürohauses, einen Tag später nahm sich Werner Heyde im Gefängnis das Leben.
Wie konnte ein sozial engagierter und christlich geprägter Mensch wie Friedrich Tillmann diesen Weg gehen? Von der städtischen Fürsorge für Waisenkinder zur wenn auch nur kurzzeitigen Mithilfe bei NS-Krankentötungen – und wieder zurück in soziale Arbeit? Eine Analyse seiner Worte und Taten im Kontext der Zeit, in der er lebte, kann helfen, Antwort auf diese Frage zu finden.
Längst vor dem „Dritten Reich“ wurde über „lebenswertes“ und „lebensunwertes Leben“, über Sterbehilfe und „Gnadentod“ heiß diskutiert. Auch nach 1945 sprachen sich viele Menschen noch für „Euthanasie“ aus. Zehn Jahre nach Tillmanns und Heydes Tod führte das Allensbacher Institut eine repräsentative Umfrage durch. Die Frage lautete: „Es gibt ja immer wieder Menschen mit schweren geistigen Schäden, die praktisch dazu verurteilt sind, das ganze Leben hinzudämmern. Deshalb hört man ja manchmal, es wäre das Beste, solchen Kranken ein Medikament zu geben, damit sie nicht mehr aufwachen. Wären Sie dafür oder dagegen, daß Ärzte in einem solchen Fall das Leben der Kranken beenden können?“3 38 Prozent der Befragten waren dafür. Bis in die Gegenwart führen ähnliche Umfragen sogar zu noch höheren Prozentzahlen.4
Grenzen werden respektiert oder missbraucht. Die Frage nach der Grenze des Erlaubten ist uralt und bleibt hochaktuell. Eine Krankenschwester setzt einem ahnungslosen alten Patienten eine tödliche Spritze. Die Öffentlichkeit reagiert entsetzt, denkt an Euthanasie.
Vorschnelle Vergleiche sind unangebracht, doch Erinnerungsarbeit kann die Bereitschaft und die Fähigkeit verbessern, in Grenzsituationen verantwortungsvoller zu handeln.
Im Brennpunkt solchen Gedenkens gebührt den Opfern die größte Aufmerksamkeit, danach auch den Tätern. Die Zwangssterilisierten und nachfolgend die getöteten angeblich oder wirklich unheilbar Geisteskranken gehören neben homosexuell lebenden Menschen, Kommunisten und Sinti und Roma zu einer fast vergessenen Opfergruppe aus der NS-Zeit. Doch auch die für die meisten Zeitgenossen unangenehme Erinnerung an die Täter ist unverzichtbar. Sie fielen in einer vom mörderischen Wahn gezeichneten Zeit aus ihrem „normalen“ Leben heraus und fielen zugleich ihrer Begeisterung über die Erfolge des „Führers“ und seiner Gefolgsleute anheim, die Widerstandskraft gegen die Unmenschlichkeit des totalitären Systems kaum aufkommen ließ. Mediales Interesse konzentriert sich nach wie vor auf Hauptkriegsverbrecher – allen voran den „Führer“. Die für die „Euthanasie“ von Geisteskranken im eigenen Land Verantwortlichen und die einst gegen sie angestrengten Prozesse sind fast nur noch Fachleuten bekannt5 – und von den Opfern spricht fast niemand mehr. Nicht zuletzt ihnen soll mit diesem Buch die Aufmerksamkeit gewidmet werden, die ihnen außerhalb ihrer Familien und mancher Gedenkstätten zumeist versagt wird. Auch in diesem Zusammenhang gilt: Jede neue Biographie, jeder authentische Bericht aus der NS-Zeit kann Menschen erreichen und schon deswegen „ein Gewinn für die politische Kultur der Gegenwart und das politische Bewußtsein kommender Generationen“ sein.
Nichts wäre ungerechter, als Friedrich Tillmanns Biographie auf die Zeit seiner Tätigkeit in der Berliner „Euthanasie“-Zentrale zu reduzieren. Dies ist in den bisherigen, meist kurzen Erwähnungen seines Lebens fast ausnahmslos der Fall. Nur eine möglichst genaue Erfassung seiner gesamten Existenz kann seine verhängnisvolle Grenzüberschreitung begreiflich machen. Unverzichtbar waren für mich dabei Recherchen im Hessischen Hauptstaatsarchiv, im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und im bis 2008 noch unzerstörten Kölner Stadtarchiv.
Friedrich Tillmanns Sohn Ekkehart hat mit einer Vielzahl von Unterlagen und familiären Erinnerungen das Zustandekommen dieser Biographie wesentlich unterstützt. Zwei Freunden habe ich besonders zu danken: Dr. Damian van Melis für hilfreiche Informationen und Anregungen, Dr. Peter Klein für sorgfältige Lektüre des Textes.
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Aus der Versenkung: Margot Käßmann

Hand mit Champagnerglas

Foto: Rob Owen-Wahl

Spätestens Mitte Mai 2010 wird die wegen Trunkenheit am Steuer als Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende zurückgetretene Margot Käßmann wieder öffentlich auftreten. Immerhin 13 Podien, Bibelarbeiten und andere Events mit „Dr. Margot Käßmann, ehem. Ratsvorsitzende Ev. Kirche in Deutschland, Hannover“ verzeichnet die Datenbank des Ökumenischen Kirchentags in München, der vom 12. bis 16. Mai stattfindet. Das im März verschickte Faltblatt des Ökumenischen Kirchentages trug an noch an prominenter Stelle ihr Foto, neben dem des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Zollitsch – es war wohl vor ihrer nächtlichen Ausfahrt und vor ihrem Rücktritt gedruckt worden.

Frau Käßmann wird sich unter anderem mehr als eine Stunde lang  zu der Frage auslassen „Sind die Kirchen ein Zeichen der Hoffnung in der Welt?“ und eine Diskussion bestreiten mit dem verschwurbelten Titel „Frauen und Macht – Ermächtigung – Frauen mit Macht“.

Gespannt sind wir alle, welche zehn halboffiziellen und eine inoffizielle Aussagen des Protestantismus sie besonders in den Vordergrund stellen wird – die sie alle als Persönlichkeit selbst repräsentiert:

  1. Wir sind auch nicht besser als ihr
  2. Wir predigen euch was Besseres als ihr seid
  3. Wir machen uns ganz viel Gewissenbisse
  4. Aber wir können auch feiern, jawohl, das haben moderne Protestanten gelernt
  5. Wenn wir erwischt werden, treten wir zurück
  6. Deswegen sind wir was Besseres
  7. Jedenfalls sind wir besser als die Katholiken, weil die treten nicht so schnell zurück
  8. Und vergib  uns unsere Schuld!
  9. Und wenn ihr jetzt weiter auf uns herum hackt…
  10. … dann vergeben wir euch trotzdem.
  11. Ätsch!

Link zur Datenbank des Ökumenischen Kirchentags 2010